Das Maß aller Dinge in Stuttgart
Stuttgart [ENA] Der Westturm ist das Maß aller Dinge. So war zumindest die Abrede seit 1905. Kein Gebäude darf im Talkessel über seine 61 Meter hinauswachsen. Bürger kritisierten damals, dass die Stadtoberen mit ihrem 68 Meter hohen Rathausturm dem Herrgott näher kamen als der Mesner im Stiftskirchturm.
Nach dem Krieg baute man den in den Bombennächten zerstörten Rathausturm neu. Dieser wurde allerdings nur 60,5 Meter hoch. Ob jetzt deshalb womöglich bei den Ratsbeschlüssen der göttliche Funke fehlt steht auf einem anderen Blatt. Heute achtet leider niemand mehr auf diese Abrede. Bereits 1996, mit Vollendung des Baus der LBBW am Hauptbahnhof mit gut 70 Metern, war es damit vorbei.
Weil die Anforderungen an den Brandschutz und die Sicherheit früher nicht so hoch waren, baute man das Treppenhaus eng, den Rundgang in 55 Meter Höhe schmal und die Brüstung niedrig. So dass gewöhnliche Zeitgenossen den Turm heutzutage nicht erklimmen dürfen – das Amt sorgt sich um Leib und Leben der Besteiger. Einige Male im Jahr immerhin macht man eine Ausnahme, dann dürfen Neugierige auf die „Himmelsleiter“, sofern man dafür unterschreibt, dass man auf eigene Gefahr hochsteigt.
Nach dem Aufstieg über die 224 Stufen kann man einen herrlichen Ausblick über die Stadt genießen. In der Literatur findet man jedoch Stufenanzahlen zwischen 200 und 237. Die Differenz kann nur denjenigen erstaunen, der noch nie die Treppen hinauf gestiegen. Außer Atem und nach Luft schnappend ist es schlicht unmöglich, korrekt zu zählen. Wann der Turm das nächste Mal wieder geöffnet ist, steht leider noch nicht im Kalender der Stiftskirche.